+ Bartholomaios,
durch Gottes Erbarmen Erzbischof von Konstantinopel, dem Neuen Rom,
und Ökumenischer Patriarch
allem Volk der Kirche Gnade, Friede und Erbarmen
von Christus, dem in Herrlichkeit auferstandenen Erlöser
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Geliebte Brüder im Bischofsamt, im Herrn geliebte Kinder,
da wir zum heiligen Osterfest gelangt und Teilhaber der Freude der Auferstehung geworden sind, besingen wir den Herrn der Herrlichkeit, der den Tod durch den Tod zertreten, Adam und das ganze Menschengeschlecht mit sich auferweckt und uns allen die Tore des Paradieses geöffnet hat.
Die lichtbringende Auferstehung Christi gibt uns die Gewissheit, dass nicht der Tod über das Leben der Welt herrscht, sondern der Erlöser, der die Macht des Todes aufgehoben hat, der ehedem als leibloser Logos, später aber als um unseretwillen aus Menschenliebe Fleisch Gewordener, als Mensch Getöteter und als Gott in Vollmacht Auferstandener und schließlich als in Herrlichkeit zur Vollendung des göttlichen Heilshandelns Wiederkehrender erkannt wird.
Das Mysterium und die Erfahrung der Auferstehung ist der Kern des kirchlichen Lebens. Der ganz von Licht erfüllte Gottesdienst, die heiligen Sakramente, das Gebetsleben, das Fasten und die Enthaltsamkeit, der pastorale Dienst und das gute Zeugnis in der Welt – all das verströmt den Duft der österlichen Freude. Das Leben der Gläubigen in der Kirche ist ein tägliches Ostern, „Freude, die von oben kommt“, „Freude über die Erlösung“, aber auch „die Erlösung als Freude“.[1]
Darum sind die Gottesdienste der heiligen Großen Woche keine Trauergottesdienste, sondern Gottesdienste, die von der sieghaften Kraft der Auferstehung erfüllt sind. In ihnen wird offenbar, dass das Kreuz im Plan der Erlösung des Menschen und der Welt nicht das letzte Wort hat. Das wird schon am Lazarus-Samstag vorwegnehmend verkündet. Die Auferweckung des Freundes Christi von den Toten ist ein Vorbild der „allgemeinen Auferstehung“. Das „Heute hängt am Kreuz“ gipfelt in der Bitte: „Zeige uns auch Deine ruhmreiche Auferstehung!“ Angesichts der Grablegung singen wir: „Ich verehre Deine Leiden, ich besinge Dein Begräbnis und Deine Auferstehung.“ Und mit lauter Stimme verkünden wir im Ostergottesdienst die wahre Bedeutung des Kreuzes: „Denn siehe, durch das Kreuz ist Freude gekommen in die ganze Welt.“
„Der hochgerühmte heilige Tag“ des Osterfestes ist die Morgenröte des „achten Tages“, der Beginn der „neuen Schöpfung“, die Erfahrung unserer eigenen Auferstehung, das große „Wunder meiner Erlösung“ (Gregor d. Theologe, Osterpredigt). Es ist die erfahrbare Gewissheit, dass der Herr gelitten hat, dass er für uns getötet wurde und dass er für uns auferstanden ist und so „unsere Auferstehung zum ewigen Leben grundgelegt hat“ (Gregorios Palamas, Homilie an Himmelfahrt). In der ganzen Osterzeit wird mit unübertrefflicher dichterischer Sprache die anthropologische Bedeutung der lichtbringenden Auferstehung Christi besungen, der Übergang des Menschen von der Knechtschaft zur wahren Freiheit, „der Hervorgang, der Aufstieg von dem, was unten ist, zu dem, was oben ist, zum Land der Verheißung“ (Gregor d. Theologe, ebd.) Diese erlösende Erneuerung in Christus wird in der Kirche als dynamische Verlängerung des eucharistischen Ethos in der Welt realisiert, als das „Wahrheit-in-Liebe-Sagen“ (Eph 4,15), als ein Mitwirken mit Gott zur Umgestaltung der Welt, damit sie zum Bild der Fülle der endlichen Erscheinung der göttlichen Liebe in der endzeitlichen Herrschaft werde. Leben im auferstandenen Christus bedeutet, das Evangelium nach dem Vorbild der Apostel „bis an das Ende der Erde“ (Apg 13,47) zu verkündigen. Es ist die tatkräftige Bezeugung der kommenden Gnade und der Erwartung der „neuen Schöpfung“, wo „der Tod nicht mehr sein wird, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal“ (Offb 21,4).
Der Glaube an die Auferstehung Christi und an unser Mit-Auferstehen leugnet nicht die qualvolle Gegenwart des Todes, des Schmerzes und des Kreuzes im Leben der Welt. Wir verleugnen nicht die harte Realität und verschaffen uns nicht durch den Glauben eine psychologische Abwehr des Todes. Doch wissen wir, dass das gegenwärtige Leben nicht das ganze Leben ist, dass wir hier „Wanderer“ sind, dass wir Christus gehören und dass wir zu Seiner ewigen Herrschaft unterwegs sind. Das Vorhandensein von Schmerz und Tod, so greifbar es auch ist, ist nicht die letzte Wirklichkeit. Diese ist vielmehr die endgültige Vernichtung des Todes. In Gottes Reich gibt es weder Schmerz noch Tod, sondern Leben, das nicht endet. „Vor Deiner ehrwürdigen Kreuzigung“, so singen wir, „ist furchtbar der Tod für die Menschen; nach Deinem ruhmvollen Leiden ist der Mensch furchtbar für den Tod“ (Doxastikon der Vesper vom 27. September). Der Glaube an Christus gibt uns Kraft, Ausdauer und Geduld, die Prüfungen zu ertragen. Christus ist es, der „jede Krankheit heilt und uns vom Tod erlöst“. Er ist der, der für uns gelitten hat, der den Menschen geoffenbart hat, dass Gott derjenige ist, der „stets für uns“ ist, dass die Menschenliebe ein wesentlicher Teil der Wahrheit Gottes ist. Dieser ersehnte Wohlklang der göttlichen Liebe ertönt in dem Wort Christi an den Gelähmten „Fasse Mut, mein Kind“ (Mt 9,2), in dem „Fasse Mut, meine Tochter“ (Mt 9,22) an die an Blutfluss Leidende, in dem „Habt Mut, ich habe die Welt besiegt“ (Jo 16,33) vor Seinem Leiden und in dem „Habe Mut, Paulus“ (Apg 23,11) an den gefangenen und vom Tod bedrohten Völkerapostel.
Die derzeit wütende, von dem neuen Coronavirus verursachte Pandemie hat gezeigt, wie zerbrechlich der Mensch ist, wie leicht ihn Schrecken und Verzweiflung befallen, wie ohnmächtig seine Kenntnisse und sein Selbstvertrauen sind, wie hinfällig die Meinung ist, der zufolge der Tod ein Ereignis lediglich am Lebensende sei und dass darum das Vergessen oder das Verdrängen des Todes die angemessene Weise sei, sich mit ihm zu befassen. Diese Grenzsituationen zeigen, dass der Mensch nicht imstande ist, sein Leben kraftvoll zu meistern, wenn er glaubt, der Tod sei die unbesiegbare Realität und die unüberwindliche Grenze. Es ist schwer, menschlich zu bleiben, wenn wir keine Hoffnung auf die Ewigkeit haben. Diese Hoffnung lebt in den Herzen aller Ärzte, Pfleger, freiwilligen Helfer, Spender und aller, die ihren leidenden Geschwistern großmütig und mit Opfermut, Selbstaufopferung und Liebe beistehen. Mitten in dieser unsäglichen Krise verströmen sie den Wohlgeruch der Auferstehung und der Hoffnung. Sie sind die „guten Samariter“, die unter Einsatz ihres Lebens Öl und Wein auf die Wunden gießen. Sie sind die modernen „Kyrenäer“ auf dem Golgotha derer, die in Krankheit darnieder liegen.
Mit diesen Gedanken, ehrwürdige Brüder und im Herrn geliebte Kinder, verherrlichen wir den Namen, der über alle Namen ist (vgl. Phil 2,9), den Namen des auferstandenen Herrn, der uns das Leben aus Seinem eigenen Licht hervorgehen lässt und alles im Licht der Auferstehung erleuchtet, und bitten ihn, den Arzt unserer Seelen und Leiber, der uns das Leben und die Auferstehung schenkt, dass Er sich in Seiner unsagbaren Menschenliebe der Menschheit annehme, uns die kostbare Gabe der Gesundheit verleihe und unsere Schritte auf gerade Pfade lenke, damit unsere gottgegebene Freiheit in der Welt gewürdigt werde, die ihre Vollendung im himmlischen Reich des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes finden wird.
Christus ist auferstanden!
Phanar, Ostern 2020
+ Bartholomaios von Konstantinopel
Euer aller inständiger Fürbitter bei Christus, dem Auferstandenen
[1] Diese Ausdrücke verwendet Vater Alexander Schmemann in seinem „Tagebuch“.
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