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Weihnachtsbotschaft

Weihnachtsbotschaft des Ökumenischen Patriarchen


+ B A R T H O L O M A I O S

durch Gottes Erbarmen Erzbischof von Konstantinopel, dem Neuen Rom,

und Ökumenischer Patriarch

allem Volk der Kirche Gnade, Erbarmen und Friede

von Christus, unserem in Bethlehem geborenen Erlöser



In Gott geliebte MitbrĂŒder, im Herrn geliebte Kinder,

heute feiert die heilige Kirche die Geburt des vorewigen Sohnes und Wortes Gottes im Fleisch, das „seit ewigen Zeiten und Geschlechtern verborgene“ (Kol 1,26) „fremde und wunderbare Mysterium“. In Christus wird uns endgĂŒltig die Wahrheit ĂŒber Gott und den Menschen geoffenbart, wie es der hl. Kyrillos von Alexandrien theologisch deutet: „Wir sind Menschen von Natur; Er aber ist wider Natur aus Menschenliebe zu uns herabgekommen und Mensch geworden. Wir sind als Geschöpfe von Natur Diener Gottes. Zum Diener ist auch Er geworden, doch geriet er in Widerspruch zu seiner Natur, als er Mensch wurde. Aber auch das Gegenteil gilt: Gott ist Gott von Natur. Doch Götter sind auch wir, die wir wider unsere Natur aus Gnade zu Ihm emporsteigen. Denn wir sind Menschen. Er ist Sohn von Natur; wir sind Söhne durch Annahme an Sohnes Statt, zur Bruderschaft mit Ihm berufen“. (Kyrillos v. Alexandrien, Thesaurus de sancta et consubstantiali Trinitate, PG 75,561)

„Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ (Joh 8,32) Unser Herr Jesus Christus ist „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6), der Befreier des Menschen „aus der Knechtschaft des Feindes“. Es gibt kein Leben und keine Freiheit ohne Wahrheit oder außerhalb der Wahrheit. Dass wir unserem Leben einen beliebigen Sinn geben, ist keine Freiheit, sondern die zeitgenössische Form der UrsĂŒnde: die Selbstverschließung des Menschen in eine selbstgenĂŒgsame, selbstgefĂ€llige Autonomie, ohne einen Sinn fĂŒr die Wahrheit als Beziehung zu Gott und zum Mitmenschen. Weihnachten ist die Zeit der Selbsterkenntnis, des Begreifens des Unterschiedes zwischen dem Mensch gewordenen Gott und dem sich als Gott verstehenden Menschen. Es ist die Zeit der Verinnerlichung der erlösenden christlichen Lehre: „Wir behaupten nicht, dass der Mensch Gott geworden, sondern dass Gott Mensch geworden ist.“ (Johannes von Damaskus, De fide Orthodoxa PG 94,988)

Das Weihnachtsevangelium erklingt in diesem Jahr zugleich mit den Kriegstrommeln und dem Geklirr der Waffen in der Ukraine, die unter den furchtbaren Folgen einer dreisten und ungerechten Invasion leidet. Jeder Krieg ist fĂŒr uns Christen ein mörderischer Konflikt unter BrĂŒdern und Angehörigen desselben Volkes, eine, wie es das Heilige und Große Konzil der Orthodoxen Kirche formuliert hat, „Folge des Bösen und der SĂŒnde in der Welt“ (Der Auftrag der Orthodoxen Kirche in der heutigen Welt. IV,1). Im Fall der Ukraine gilt darĂŒber hinaus das Wort des hl. Gregorios Palamas ĂŒber die damaligen blutigen Konflikte unter orthodoxen Christen in Thessaloniki: „Unser Reichtum ist die heilige Kirche als gemeinsame Mutter und unsere Gottesfurcht, deren FĂŒhrer und Vollender Christus, der wahrhafte Sohn Gottes ist, dem es wohlgefallen hat, nicht nur Gott, sondern auch unser Bruder und unser Vater zu sein“ (Über den Frieden unter uns; PG 151,10).

In der Person Christi ist die „Vereinigung“ aller vollzogen - der Nachweis der Einheit des Menschengeschlechts und der Heiligkeit der menschlichen Person, die Eröffnung des Weges zur „VerĂ€hnlichung“ – und der Offenbarung des Friedens, „der jeden Verstand ĂŒbersteigt“ (Phil 4,7). Christus ist „unser Friede“ (Eph 2,14), und Ihm ist die historische und symboltrĂ€chtige Kirche „Agia Irini“ in Konstantinopel geweiht.

Unser Erlöser preist die „Friedensstifter“ selig, denn „sie werden Kinder Gottes heißen“ (Mt 5,9), und bezieht in dieses Ideal der Gerechtigkeit und der Liebe sogar noch die Feinde ein. Die orthodoxe Kirche bittet in der Göttlichen Liturgie „um den Frieden von oben“ und „um den Frieden der ganzen Welt“. „Schenke uns Deinen Frieden und Deine Liebe, Herr, unser Gott. Denn alles hast Du uns gegeben“ – so bitten und verherrlichen wir den Geber jeglichen Gutes in der Liturgie des hl. Basilius d. Gr. Wir, die wir von Gott alles empfangen haben, sind verpflichtet, uns als derart außerordentlich Beschenkte mehr als die ĂŒbrigen Menschen fĂŒr den Frieden einzusetzen – entsprechend dem biblischen Wort: „Von dem, dem viel gegeben wurde, wird man viel verlangen.“ (Lk 12,48) In diesem Sinn geht das, was von Christen im Widerspruch zu diesem Prinzip getan wird, nicht zu Lasten des Christentums, sondern zu Lasten derer, die in ihrem Handeln die göttlichen Weisungen ĂŒbertreten.

Nie war in der Menschheitsgeschichte der Friede zwischen Völkern ein selbstverstĂ€ndlicher Zustand. Vielmehr war er ĂŒberall und immer das Ergebnis inspirierter Initiativen, des Großmuts und der Selbstaufopferung, des Widerstands gegen die Gewalt und der Verwerfung des Krieges als eines Mittels der Lösung von Differenzen; stets war der Friede ein Kampf fĂŒr die Gerechtigkeit und den Schutz der MenschenwĂŒrde. Der Einsatz fĂŒr den Frieden und die Versöhnung ist das vorrangige Kriterium fĂŒr die GlaubwĂŒrdigkeit der Religionen. Zweifellos gibt es in den religiösen Überlieferungen nicht nur Motive fĂŒr den inneren Frieden, sondern auch fĂŒr die Förderung und Errichtung des gesellschaftlichen Friedens durch die Überwindung der AggressivitĂ€t in den Beziehungen zwischen Individuen und Völkern. Dies ist in unserer Zeit, in der die Auffassung vorherrscht, der Friede könne das Ergebnis wirtschaftlicher Entwicklung, der Steigerung des Lebensstandards, des Fortschritts von Wissenschaft und Technik mittels digitaler Kommunikation und des Internets sein, von besonderer Bedeutung. Wir sind ĂŒberzeugt, dass es ohne den Frieden zwischen den Religionen, ohne ihren Dialog und ihre Zusammenarbeit auch keinen Frieden zwischen Völkern und Kulturen geben kann. Der Glaube an Gott verstĂ€rkt den Kampf fĂŒr eine Welt des Friedens – auch dann, wenn diese BemĂŒhung vor Hindernissen steht, die nach menschlichem Ermessen unĂŒberwindbar erscheinen. Keinesfalls kann man akzeptieren, dass Vertreter der Religionen Fanatismus schĂŒren und die Flamme des Hasses anfachen.


Heilige gottgeliebte BrĂŒder und geliebte Kinder,


Christus wird geboren, verherrlicht Ihn.

Christus kommt vom Himmel, zieht Ihm entgegen.

Christus auf Erden, lasst euch erhöhen.

Der Aufforderung des heiligen VorgĂ€ngers unserer geringen Person auf dem Bischofssitz der Kirche von Konstantinopel, Gregors d. Theologen, folgend lasst uns den Geburtstag des Erlösers der Welt in geistlicher Freude feiern, „nicht nach Art der Welt, sondern ĂŒberweltlich“ und „alles“ vermeiden, „was ĂŒberflĂŒssig und unnötig ist. Und das, weil andere, die aus demselben Lehm und aus derselben Stoff wie wir bestehen, hungern und Mangel leiden“ (Gregor d. Theologe, Homilie zur Theophanie oder zur Geburt des Erlösers, PG 36,316). Wir wĂŒnschen euch allen eine ergreifende und von Lobpreis erfĂŒllte Zeit der heiligen zwölf Tage, eines Zeitraums, der wahrhaft die FĂŒlle der Zeit und einen Strahl des Lichtes der Ewigkeit darstellt. Möge sich das kommende Jahr 2023, dank des Wohlgefallens und der Gnade des fĂŒr uns Menschen und um unseres Heiles willen Fleisch gewordenen Wortes Gottes, als eine Zeit des Friedens, der Liebe und der SolidaritĂ€t, als ein wahrhaftes Jahr der GĂŒte des Herrn erweisen!

Auf viele gesegnete Jahre!


Weihnachten 2022



+ Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel,

Euer aller instĂ€ndiger FĂŒrbitter bei Gott



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